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Biodiversität ist Leben – Biodiversität ist unser Leben

Ein Artikel von Mira Beinert (Naturschutzexpertin der Naturfreunde Deutschland) zum Internationalen Jahr der Biodiversität.

2010 ist ein bedeutendes Jahr für den weltweiten Naturschutz. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 2010 erstmals zum „Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt“ erklärt. Weltweit finden in den kommenden Monaten Veranstaltungen und Aktionen statt.


Die biologische Vielfalt umfasst nicht nur die Tier- und Pflanzenarten, deren Zahl Schätzungen auf weltweit 10 bis 20 Millionen veranschlagen, sondern auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten sowie die unterschiedlichen Lebensräume und Landschaften.

Jede Art, jeder natürliche Lebensraum ist das Ergebnis Jahrmillionen langer Evolution. Die biologische Vielfalt ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch so gefährdet wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Schätzungen zufolge ist die von Menschen verursachte weltweite Verlustrate hundert- bis tausendmal höher als der natürliche Artenschwund. Neben dem allgegenwärtigen Klimawandel ist der rasant fortschreitende Verlust an biologischer Vielfalt das größte Umweltproblem im 21. Jahrhundert.

Beim Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 wurde der Schutz der biologischen Vielfalt erstmals vertraglich auf die Tagesordnung der Weltpolitik gehoben. Mit dem dort verabschiedeten Übereinkommen über die biologische Vielfalt (englisch: Convention on Biological Diversity, abgekürzt CBD) ist ein rechtsverbindliches Vertragswerk geschaffen worden, welches neben der Klimarahmenkonvention einer der wichtigsten internationalen Umweltverträge ist. Die Biodiversitätskonvention (CBD) umfasst drei gleichgewichtige und einander ergänzende Ziele: die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung und die gerechte Aufteilung aus der Nutzung der genetischen Naturressourcen.

Mit 193 Mitgliedsstaaten ist die Biodiversitätskonvention ein globales Dokument, mit rechtlicher Wirkung in fast allen Ländern der Erde. Im zweijährigen Rhythmus treffen sich die Vertreter der Unterzeichnerstaaten an wechselnden Orten zur Vertragsstaatenkonferenz. Die UN-Vertragsstaatenkonferenz ist das oberste politische Entscheidungsgremium der CBD. Das UN-Sekretariat der CBD hat seinen Hauptsitz in Montreal, Kanada. Von hier aus wird die Umsetzung der Biodiversitätskonvention koordiniert. Auf der letzten, der 9. Vertragsstaatenkonferenz im Mai 2008, trafen sich über .4500 ExperteInnen in Bonn. Die Beschlüsse vorangegangener Vertragsstaatenkonferenzen sowie die durch mehrjährige Arbeitsprogramme vorgegebenen Schwerpunkte bilden die Arbeitsgrundlage der Vertragsstaatenkonferenzen. Die inhaltlichen und thematischen Schwerpunkte der Bonner Biodiversitätskonferenz waren der Schutz der Wälder, die Erarbeitung zusätzlicher Finanzierungsmöglichkeiten für den weltweiten Naturschutz, die Errichtung eines weltweiten Netzes von Schutzgebieten an Land und auf dem Meer und der Zugang zur genetischen Vielfalt mit Vorteilsausgleich für die einheimische Bevölkerung und die Herkunftsländer.
Mit der Ausrichtung der 9. Biodiversitätskonferenz hat Deutschland den Vorsitz über alle 193 Vertragsstaaten übernommen. Die deutsche CBD-Präsidentschaft endet nach zwei Jahren mit der 10. Biodiversitätskonferenz im Oktober 2010 in Nagoya, Japan.

Die politischen Ziele während der deutschen Präsidentschaft sind in der „Agenda für biologische Vielfalt“ festgelegt. Neben den bestehenden Arbeitsschwerpunkten sind diese insbesondere die Bewertung des 2010-Zieles zum Stopp des weltweiten Artensterbens, die Errichtung eines internationalen Naturschutzrates und die Erstellung einer internationalen Studie über die volkswirtschaftlichen Kosten der Naturzerstörung.

Das 2010-Ziel

Eigentlich sollte das Jahr 2010 dafür stehen, eine deutliche Reduktion des Biodiversitätsverlustes zu erzielen. Dieses Ziel wird nicht erreicht werden. Laut Weltnaturschutzunion (IUCN) liegt die derzeitige Aussterberate bei bis zu 150 Arten pro Tag, Tendenz steigend. Der Verlust einer Art ist endgültig, und seine Wechselwirkung für das Lebensgefüge und die Wertschöpfung kaum zu berechnen. Zwei Beispiele verdeutlichen dies:

Der australische Magenbrüterfrosch brütet seinen Nachwuchs im Magen aus. Ein Sekret des Muttertieres verhindert, dass die jungen Kaulquappen von den Magensäuren und Enzymen zersetzt werden. Erste wissenschaftliche Untersuchungen nährten die Hoffnung auf ein neues Medikament gegen Magengeschwüre. Mit dem Aussterben aller vorkommenden Magenbrüterarten mussten auch die Forschungen abrupt beendet werden.

Korallenriffe sind natürliche Wellenbrecher. Sie mindern bei Sturmfluten die zerstörerische Kraft der Wassermassen. In der Karibik, eine der am meisten gefährdeten Hurrikanregionen im Atlantik, sind bereits 80 Prozent der natürlichen Korallenriffe zerstört. Hauptursache ist hier das anthropogene Treibhausgas CO2. Bei weiterhin gleichbleibendem CO2-Ausstoß werden die Korallenriffe in den nächsten Jahrzehnten völlig abgestorben sein.

Der globale Artenschwund ist so vielfältig wie seine Ursachen und hat folgenschwere Auswirkungen, denn die biologische Vielfalt ist so etwas wie eine Datenbank der Natur. Diese Datenbank vergisst nichts und die Folgen des menschlichen Handelns sind allgegenwärtig: Die Natur verarmt weltweit, die natürlichen Lebensgrundlagen vieler Menschen sind massiv bedroht, Naturkatastrophen nehmen kontinuierlich zu und die Zahl der Umweltflüchtlinge steigt ständig.

Im japanischen Nagoya wird auf der 10. Biodiversitätskonferenz Bilanz gezogen. Weltweit herrscht schon jetzt die Einsicht, dass neue Kräfte gebündelt werden müssen, um den dramatischen Artenschwund zu stoppen. Die neue Zielmarge soll nun das Jahr 2020 sein, oder vielleicht, wie einige unverbesserliche UN-Mitgliedsstaaten fordern, soll erst bis zum Jahre 2050 der Verlust an biologischer Vielfalt gestoppt werden.

Der internationale Naturschutzrat

In Anlehnung an den Weltklimarat (IPCC) wird zurzeit über die Errichtung eines internationalen Naturschutzrats, dem Zwischenstaatlichen Wissenschaftsrat für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES), diskutiert. Unter dem Dach der Vereinten Nationen haben erste Beratungen 2008 in Putrajava, Malaysia stattgefunden. Der Endbericht wird auf der 10. Biodiversitätskonferenz in Japan vorgelegt. Er beschreibt die Struktur, die Funktionen und den politischen Geltungsbereich des zukünftigen Naturschutzrats.
Ziel des internationalen Naturschutzrates soll es sein, eine engere Verbindung zwischen der Wissenschaft und der Politik herzustellen. Allgemein anerkannt ist dabei, dass die Schaffung eines internationalen Naturschutzrats die Möglichkeit bietet, die weltweite Biodiverstitätsforschung mit den wertvollen Erkenntnissen zusammenzuführen und so den aktuellen Kenntnisstand in politisches Handeln einfließen zu lassen. Der internationale Naturschutzrat soll unabhängig und zwischenstaatlich agieren und so effektiv dem globalen Biodiversitätsschutz dienen.

Die TEEB-Studie

Die Natur liefert den Menschen eine Vielzahl von Gütern und Leistungen, die das Fundament menschlichen Wohlergehens darstellen. Intakte Böden, Nahrung, Trinkwasser, Brennstoffe, Kosmetika und Arzneimittel, Schutz vor Bodenerosion und Überschwemmungen sowie Klimaregulierung durch beispielsweise Kohlenstoffsspeicherung. Dies sind „ökosystemare Leistungen“, die der Menschheit durch die Natur kostenlos bereitgestellt werden. Diese Dienstleitungen der Ökosysteme und der Biodiversität besitzen einen oftmals unbeachtet hohen ökonomischen Wert. Um den ökonomischen Wert der intakten Natur besser einschätzen zu können, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Schädigung von Ökosystemen zu erfassen und die Kosten des Nicht-Handelns zu beziffern, ist im Jahre 2008 von Deutschland und der EU-Kommission die Studie „Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ (The Ecomonics of Ecosystems and Biodiversity, abgekürzt TEEB) initiiert worden. Unter Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) soll auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt im Herbst 2010 im japanischen Nagoya der Abschlussbericht vorgestellt werden. Ein wesentliches Ergebnis des ersten Zwischenberichtes 2008 ist, dass die zurzeit rund 100.000 Schutzgebiete der Erde die Menschheit mit Ökodienstleistungen im Wert von rund 5 Billionen US-Dollar jährlich versorgen. Dies übertrifft die gemeinsamen Umsätze des weltweiten Automobilsektors, Stahlsektors und der IT-Branche. Demgegenüber sind Investitionen in Naturschutzmaßnahmen monetär vergleichsweise gering zu beziffern. Nach Expertenschätzung werden hierfür jährlich nur 40 bis 45 Milliarden US-Dollar benötigt.
Mit der Veröffentlichung der TEEB-Studie auf der 10. Biodiversitätskonferenz im Herbst dieses Jahres ist die Hoffnung verbunden, einen ähnlich breiten Bewusstseinswandel anzustoßen, wie es  seinerzeit der Stern-Bericht zu den ökonomischen Folgen des Klimawandels tat.

Dieses Jahr ist nicht nur das Internationale Jahr der Biodiversität, 2010 ist auch das Jahr der Bilanzen im weltweiten Naturschutz. Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen wird im September die UN-Generalversammlung den Schutz und die Bedrohung der Biodiversität zum zentralen Thema haben. Die Staatengemeinschaft wird die Folgen der Vergangenheit bilanzieren und die Weichen für einen erfolgreichen Naturschutz weltweit ausloten. Einen Monat später wird die 10. Weltkonferenz zur Biodiversität in Japan alte und neue Wege des Naturschutzes diskutieren. Über die Auftaktveranstaltung in Berlin, zur UNESCO-Konferenz in Paris, über Tagungen in London, Madrid, New York oder Tokyo werden in den kommenden Monaten zahlreiche Veranstaltungen das Ziel verfolgen, alle Kräfte zum Schutz der Biodiversität zu mobilisieren. 

Das Motto des Internationalen Jahres der Biodiversität ist somit passend gewählt: Biodiversität ist Leben. Biodiversität ist unser Leben. 

©Norbert Sauberer
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