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Nachhaltiger Tourismus in den Alpen - Status quo und Zukunftsperspektiven

Naturfreunde-Umweltkonferenz 2018

Die Alpen sind eines der beliebtesten Reiseziele der Welt. Rund 120 Millionen Menschen besuchen jährlich den Alpenbogen. Verschärft durch den Klimawandel müssen für etliche Tourismusformen neue Wege gefunden werden, um die Alpen für kommende Generationen als Naturjuwel und einkommensbringenden Lebensraum zu erhalten. Die sehr gut besuchte ganztägige Naturfreunde-Umweltkonferenz, die am 9. November 2018 im Hotel Kolping in Linz stattfand, bot einen komprimierten Überblick über die positiven und negativen Auswirkungen des (Massen-)Tourismus in den Alpen. Darüber hinaus wurden in Workshops im Sinn von „Wir selbst sind Expertinnen und Experten!“ Ideen für einen nachhaltigen Tourismus in den Alpen gesammelt sowie Wünsche und Forderungen an die Tourismuswirtschaft und Politik formuliert.

 

Begrüßungen

„Was wären wir ohne die Natur?“, fragte Andreas Schieder, Vorsitzender der Naturfreunde Österreich, in seiner Videobotschaft an die Naturfreunde-Umweltkonferenz zum Thema „Nachhaltiger Tourismus in den Alpen. Status quo und Zukunftsperspektiven“ provokant. Nur mehr 7 % der österreichischen Staatsfläche seien noch in einem naturnahen Zustand. „In der ,Allianz für die Seele der Alpen‘ kämpfen daher die Naturfreunde gemeinsam mit dem WWF und dem Österreichischen Alpenverein dafür, dass diese letzten weitgehend noch unerschlossenen Gebiete unberührt bleiben“, erklärte Andreas Schieder und sprach sich auch gegen den maßlosen Ausbau von Schigebieten aus. Wie wir unsere Landschaften am besten schützen können, sei nicht immer leicht zu beantworten, meinte die Vorsitzende der Naturfreunde Oberösterreich Gerda Weichsler-Hauer in ihrer Begrüßung. Deswegen sei es wichtig zu diskutieren, „wie wir den Tourismus in Zukunft organisieren wollen und wie wir ihn naturverträglich gestalten können, damit auch künftige Generationen die alpinen Landschaften genießen können.“ Gerald Plattner, Bundesumweltreferent der Naturfreunde Österreich und Leiter des Naturraummanagements der Österreichischen Bundesforste moderierte die Umweltkonferenz und verwies in seinen einleitenden Worten darauf, dass die Alpen natürlich nicht nur für Erholungsuchende von Bedeutung sind, sondern auch für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Wie es auch die Alpenkonvention vorsieht, müssen ökonomische Interessen mit den ökologischen Anforderungen in Einklang gebracht werden. Eine ganzheitliche Politik sei nötig, betonte er.

Als Auftakt zur Umweltkonferenz unternahm Katrin Karschat, Projektmanagerin der Naturfreunde Internationale, mit den Konferenzgästen eine Gedankenreise in die Alpen. Die Teilnehmenden hatten damit die Möglichkeit, ihr Reiseverhalten zu reflektieren.

 

Noch ein weiter Weg zur Nachhaltigkeit

In seinem Vortrag „Käseglocke oder künstliche Sportarena? Wie nachhaltig ist der Tourismus in den Alpen?“ ging der Landschaftsökologe Christian Baumgartner, Geschäftsführer von response & ability, Professor am Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur sowie Vizepräsident der CIPRA, der Frage nach, wie wir mit der Natur umgehen, und zeigte anhand positiver und negativer Beispiele, wie sie vom Tourismus inszeniert wird. Zum leichteren Erleben wird Natur gerne möbliert − und das immer spektakulärer: Im gesamten Alpenraum wurden riesige Aussichtsplattformen und extreme Hängebrücken gebaut, offene Panoramagondeln sollen für „echte“ Bergerlebnisse sorgen.

Baumgartner: „Inszenierung wird dort gefährlich, wo sie mit Ignoranz, vorrangigem Profitdenken und Dummheit gepaart auftritt.“ Beispiel: das „Hannibal“-Gletscherschauspiel auf 3000 m Höhe am Rettenbachferner (Sölden) mit mehr als 500 Teilnehmern und Tausenden Gästen.

Sinnvolle Landschaftsinszenierungen hingegen, zum Beispiel in Form von Themenwegen, können Neugierde wecken und als Anziehungspunkt wirken. „Landschaft zu inszenieren heißt, regionale Kompetenzen, landschaftliche und kulturelle Besonderheiten herauszuarbeiten und für Gäste nachhaltig erlebbar zu machen“, so Christian Baumgartner. „Die Inszenierung soll dem Gast als Anlass dienen, gleichermaßen Landschaft und Kultur zu erkunden und zu genießen und über die Inszenierung auf das „Echte“ – Authentische − der Region zu stoßen. Beispiel: das Lesachtal − das Tal der hundert Mühlen. Landschaftsinszenierung könne auch dem Schutz der Kulturlandschaft und/oder der Natur dienen. Beispiel: der WildeWasserWeg im Stubaital, der zum Schutz vor einem Kraftwerk angelegt wurde.

Baumgartners Fazit: Nachhaltigkeit im alpinen Tourismus sei punktuell vorhanden, in der Fläche und in den (großen) Strategien fehle sie jedoch.

Nachhaltig agierenden Touristinnen und Touristen sind − und zwar in allen Preiskategorien - gesunde Destinationen, hohe Qualität, gutes Service und authentische Erlebnisse wichtig. „Aufgrund des demografischen Wandels steigt die Nachfrage vor allem nach Gesundheits- und Kulturtourismus, der regionale Bezug wird (noch) wichtiger“, erläuterte Baumgartner. „Die Freizeit und Geldverfügbarkeit älterer Menschen steigen, daher müssen entsprechende Produkte für genau diese Zielgruppe entwickelt werden.“ Da die Stadtbevölkerung zunehmend auf eigene Autos verzichtet, entstehe das Bedürfnis nach neuen Mobilitätsangeboten im Urlaub und auf der Anreise. „Der Gast ist oftmals weiter als der Tourismus“, meinte Christian Baumgartner. „Zur Nachhaltigkeit im Tourismus ist es aber noch ein weiter Weg.“

 

Die dunkle Seite des Massentourismus: „Tirolismus“

Über die negativen Auswüchse des Tourismus in den Tiroler Alpen berichtete der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner in seinem Fotovortrag „DELIRIUM ALPINUM! Scharfe Bilder und gewürzte Geschichten aus den Bergen“. Hechenblaikner wuchs im Tourismusbetrieb seiner Eltern auf, ist also ein Insider. Mit seinen meist erschütternden Fotos dokumentiert er die „Schneegeschäfte“ (so der Titel einer Werkserie) in seiner Heimat: zum Beispiel Schneetransporte für Pisten inmitten grüner Hänge oder nach Berlin zu Veranstaltungen der Tourismusindustrie. Die Werkserie „Intensivstationen“ beschäftigt sich mit hochtechnisierten „Hütten“, in denen Après-Ski gefeiert wird und in denen die meist deutschen Gäste mit Alkohol abgefüllt werden. Besonders verstörend sind Hechenblaikners Fotos von Tabletänzerinnen in Ischgl, die auch bei Tag in der Öffentlichkeit Gäste zum Alkoholkonsum animieren, und von auf und neben der Piste liegenden Alkoholleichen. Für Hechenblaikner ist „Tirolismus“ die Steigerungsform des Tourismus. Seine Bilder sind u. a. ein Plädoyer gegen die Berauschungsindustrie und gegen die Vulgarisierung des Tourismus.

 

FairReisen? Das ist hier die Frage!

Unter diesem Titel fand parallel zur Naturfreunde-Umweltkonferenz die Naturfreundejugend-Umweltkonferenz statt. Die teilnehmenden Jugendlichen erarbeiteten gemeinsam mit Coaches des Vereins actinGreen, welche Art von Tourismus sie in den Alpen gerne hätten, und präsentierten ihre Vorstellungen den Gästen der Naturfreunde-Bundesorganisation im Rahmen einer Performance. Anschließend stellten sie für die Bereiche Aktivitäten, Mobilität und Unterkünfte eine Reihe von Forderungen an die Politik sowie die Tourismuswirtschaft.

Für den Bereich „Aktivitäten“ wünschen sie sich u. a. schalldichte Räume, in denen man feiern kann (z. B. Après-Ski), ohne jemanden mit Partylärm zu belästigen, sowie eine größere Angebotsvielfalt: umweltfreundlichere, ressourcenschonende Angebote und Alternativen zum Schifahren (z. B. im Wellnessbereich).

Für den Bereich „Mobilität“ wünschen sie sich u. a. eine Attraktivierung des öffentlichen Verkehrssystems, kostengünstige Angebote für Familien, SchülerInnen, Studierende sowie für Personen, die bereits in Pension sind (auch für Schilifte), und Shuttle-Services von den Parkplätzen außerhalb der Urlaubsgemeinden zu den jeweiligen Ortszentren.

Für den Bereich „Unterkünfte“ wünschen sie sich u. a. mehr Förderungen für Energiesparmaßnahmen und Solaranlagen in Tourismusbetrieben sowie die Förderung regionaler Produkte; weiters fordern sie Konsequenzen bei Umweltbelastungen.

www.naturfreundejugend.at

 

Best-Practice-Beispiele der Naturfreunde

 

Naturfreunde-KlimaFonds

Katrin Karschat, Projektmanagerin der Naturfreunde Internationale, stellte den 2015 gegründeten Naturfreunde-KlimaFonds vor, der die Möglichkeit bietet, als Ausgleich für Flug- und PKW-Reisen Klimaschutzprojekte der Naturfreunde in Afrika zu unterstützen und damit einen persönlichen Beitrag zu mehr Klimagerechtigkeit zu leisten. Im Rahmen des aktuellen Projekts im Nimba-Mountains-Biosphärenreservat im Bergland von Guinea wird die Bevölkerung im Bau verbesserter Kochstellen aus lokal verfügbaren Materialien geschult. Traditionelle Feuerstellen verbrauchen nämlich viel Holz (die Folge: zunehmende Entwaldung) und emittieren viele Schadstoffe.

www.climatefund.nf-int.org

 

Die WohlfühlWege der Naturfreunde

Seit 2016 hat die Naturfreunde Internationale in Zusammenarbeit mit den Österreichischen Bundesforsten zehn WohlfühlWege ausgesucht und mit Stationen für verschiedenste Aktivitäten (Spiele, Entspannungsübungen, Vertiefen des Naturerlebnisses etc.) ausgestattet. Christian Wagner, Leiter des Projekts „WohlfühlWege“, stellte „Die kleine Wurrunde“ in Spital am Pyhrn vor, den neuesten WohlfühlWeg, und erläuterte die Kriterien für WohlfühlWege: Sie sind absolut barrierefrei, haben eine Breite von mindestens 1 m und weisen maximal eine Steigung von 6 % auf. Sie sind somit kinderwagen-, rollator- und rollstuhltauglich. Die WohlfühlWege sind mit Öffis erreichbar.

www.wohlfuehlwege.at

 

Allianz für die Seele der Alpen

Diese 2017 gestartete Initiative der Naturfreunde Österreich, des WWF und des Österreichischen Alpenvereins möchte die letzten Freiräume der Alpen sichern. „Nur noch 7 % der österreichischen Fläche sind frei von technischer Infrastruktur, Verkehr und Lärm“, erklärte Regina Hrbek, Leiterin der Abteilung Natur- und Umweltschutz und Hüttenmanagement der Naturfreunde Österreich. „Aber nicht einmal die Hälfte dieser letzten alpinen Freiräume ist vor belastender Verbauung geschützt!“ Es brauche daher dringend verbindliche Grenzen für die großtechnische Erschließung alpiner Landschaften. Regina Hrbek appellierte ans Publikum, die von der Allianz für die Seele der Alpen gestartete Petition zu unterschreiben. Bisher haben erst an die 21.000 Menschen unterzeichnet. Die Unterschriften werden am 11. Dezember 2018 Bundesministerin Elisabeth Köstinger übergeben.

Der Berg ruft – dich um Hilfe! RETTEN WIR GEMEINSAM DIE SEELE DER ALPEN!

www.seele-der-alpen.at/petition/

 

 World Cafés

 

Unter dem Motto „Tourismus mit Weitblick - Wir selbst sind Expertinnen/Experten“ setzten sich die Konferenzteilnehmenden in drei Workshops mit den Themenbereichen „Aktivitäten“, „Mobilität“ und „Unterkunft“ auseinander. Dabei wurden Wünsche und Forderungen an die Tourismuswirtschaft, die Politik als auch an jeden Einzelnen von uns formuliert.

 

Die 6 wichtigsten Forderungen der Naturfreunde Umweltkonferenz:

 

  • Der geplante Masterplan Tourismus braucht unbedingt ehrliche, ambitionierte Nachhaltigkeitsziele inkl. Finanzierung und Umsetzungszuständigkeiten. Eine Partizipation der Zivilgesellschaft ist hier unbedingt erforderlich!
  • Weitere Zersiedelung im alpinen Raum muss verhindert werden. Die Sicherung der letzten alpinen Freiräume durch richtige Raumplanung müssen gewährleistet sein! Förderungen nur mehr für eine nachhaltige, klimaschonende und landschaftsgebundene Bauweise!
  • Eine die Attraktivität des ÖPNV`s betonende Kampagne ist dringend nötig, ganz unter dem Motto „Öffis sind sexy“. Auf jeden Fall sollte bei allen Tourismusangeboten die Bewerbung der öffentlichen Anreisemöglichkeiten immer an erster Stelle stehen.
  • Informationen über die Fahrpläne und Anschlüsse im öffentlichen Verkehr (Apps, Internetplattformen, diverse Routenplaner usw.) gehören vermehrt beworben. Auch die Überwindung des letzten Kilometers für Reisende gehören in diese Routenplaner integriert (z.B. Telefonnummer der regionalen Taxiunternehmer oder Shuttleserviceangebote, falls keine öffentlichen Verkehrsmittel vorhanden sind).
  • Neue integrierte und regionale Mobilitätsmodelle müssen erarbeitet werden. Diese sollen sowohl für Einheimische wie auch für TouristInnen attraktiv sein.
  • Die Zahl der umweltzertifizierten Betriebe gehört gesteigert (z. B. österreichisches Umweltzeichen). Lebensmittel in Betrieben müssen saisonal, regional und im besten Fall aus biologischer Herkunft angeboten werden!
Als Auftakt zur Umweltkonferenz unternahm Katrin Karschat, Projektmanagerin der Naturfreunde Internationale, mit den Konferenzgästen eine Gedankenreise in die Alpen. Die Teilnehmenden hatten damit die Möglichkeit, ihr Reiseverhalten zu reflektieren.
Christian Baumgartners Fazit in seinem Vortrag „Käseglocke oder Sportarena“: Nachhaltigkeit im alpinen Tourismus sei punktuell vorhanden, in der Fläche und in den (großen) Strategien fehle sie jedoch.
Lois Hechenblaikner zeigte uns die dunkle Seite des Massentourismus. Seine Bilder sind u. a. ein Plädoyer gegen die Berauschungsindustrie und gegen die Vulgarisierung des Tourismus.
Die Konferenz wurde nach den Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens für Green Meetings/Events durchgeführt.
Die Konferenz wurde freundlicherweise vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus unterstützt!
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